Studierende und Lehrende fordern, die koloniale Vergangenheit der Uni Köln stärker aufzuarbeiten
Erschienen in der Stadtrevue, Ausgabe 2/2021
Aus deutschen Kolonialgebieten geraubte Gebeine in Vitrinen des Anatomischen Instituts; Hörsäle, die nach SA-Mitgliedern benannt sind; neun Porträts von Rektoren, die in der NSDAP waren, im repräsentativen Alten Senatssaal: Es gibt an der 1919 neu gegründeten Universität zu Köln offensichtlich noch einiges, was historisch neu bewertet werden muss.
Der kritische Blick in die eigene Geschichte wurde zum Jubiläum 2019 versprochen. Mehrere Forschungsvorhaben und eine Chronik zählen bislang zu den Resultaten. Dennoch bleibe die Universität hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück, so die Kritik mehrerer Hochschulgruppen, deren Vertreter sich Anfang Dezember mit einem Offenen Brief an die Uni-Spitze wandten. »Dekolonialisierung und Entnazifizierung«, unter diesen Stichworten schloss sich im Januar das Studierendenparlament mit breiter Mehrheit an. »In unserer Universität soll es keine Hörsäle geben, die nach Nazis benannt sind. In unserer Universität sollen nicht kommentarlos Bilder von Nazis hängen. In unserer Universität sollen keine Gebeine von Opfern des Kolonialismus ausgestellt werden«, steht dem Beschluss voran. Auch die Mensa Robert-Koch-Straße sei umzubenennen. Denn der Mediziner testete arsenhaltige Medikamente in deutschen Kolonien ohne die Einwilligung der einheimischen Probanden und mit tödlichem Ausgang für manche. Rektor Axel Freimuth antwortete noch im Dezember. Er verwies auf laufende Untersuchungen und auf die Pandemie, die den Zugang zu Archiven beeinträchtige. Auf »eindeutige Befunde« folgten »angemessene Maßnahmen«, versichert Freimuth.
Aufarbeitung ohne Konsequenz
Die Nazi-Zeit der Kölner Uni ist mittlerweile gut erforscht. Umso mehr verwundert es, dass sichtbare Konsequenz fehlt. »Eine Umbenennung der Hörsäle ist längst überfällig«, sagt Marianne Bechhaus-Gerst, Professorin für Afrikanistik. Die Kolonialzeit und die anschließende, bis in die Nazi-Zeit führende Bewegung des Kolonial-Revisionismus erhalte zu wenig Aufmerksamkeit. Die Professorin engagiert sich seit zehn Jahren in der Initiative »Köln Postkolonial« und ist angesichts der aktuellen Diskussion »verhalten optimistisch«, auch weil sie vor dem Hintergrund internationaler Protesten gegen strukturellen Rassismus geführt werden. »Anlass waren unter anderem die Black-Lives-Matter-Proteste, die uns sehr bewegt haben«, sagt auch Tobias Zorn von der Hochschulgruppe »campus grün«, eine der beteiligten Initiativen.
Straßen, die nach völkermordenden Generälen und früheren deutschen Kolonialgebieten benannt sind; Konrad Adenauers Forderung nach kolonialen Aktivitäten; von rassistischen Weltbildern informierte Expeditionen von Uni-Professoren: Weit über die Hochschule hinaus wird das koloniale Erbe Kölns diskutiert. Entgegen einer lange verbreiteten Haltung sei der Kolonialismus auch ein wesentlicher Teil der deutschen Vergangenheit, sagt Bechhaus-Gerst. Diese Einsicht stelle sich langsam ein. »Da ist noch viel mehr koloniale Geschichte«, sagt Bechhaus-Gerst konkret zur Kölner Uni. Sie hat bereits vor Jahren eine umfassende Promotion dazu betreut. Das Interesse, daran anzuknüpfen, sei in der Uni-Leitung jedoch begrenzt gewesen.
Vom Kolonialismus zum Alltagsrassismus
Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit sei wichtig, nicht zuletzt um den heutigen Alltagsrassismus zu bekämpfen, sagt Ulrike Lindner, Geschichtsprofessorin an der Uni und Expertin für europäischen Kolonialismus: »Die Vorstellungen des Kolonialismus sind heute noch virulent. Sie sind die Grundlage für die scheußlichen Vorurteile gegenüber schwarzen Menschen.«
»Rassismus fängt nicht in der rechten Ecke an«, sagt Senami Hotse. Die Studentin der Kölner Uni nahm Anfang November ein Video auf, in dem sie einen Vorfall in einem Online-Seminar ausgerechnet zum Thema Interkulturelle Kompetenz schildert. Ihr Vater stammt aus Ghana, sie selbst ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Die beiden weißen Dozenten drängten sie dennoch in die Rolle der Expertin für das ihr unbekannte Land — nach missglückten Versuchen, ihre vermeintlich nicht-deutsche Herkunft zu fassen. Hotse störte nicht so sehr die individuelle Haltung der beiden. Ihr gehe es um die Strukturen. Als sie ihre Erfahrungen veröffentlichte, erfuhr sie viel Solidarität von Menschen, die Ähnliches erfahren haben.
Professorin Lindner sieht in den Strukturen ein grundsätzliches Problem deutscher, bildungsbürgerlicher Elitenrekrutierung, in der nicht-deutsche Personen unterrepräsentiert sind. Marianne Bechhaus-Gerst fordert, Lehrende weiterzubilden. Seminare zu »critical whiteness« sollten verpflichtend sein. Nötig sei eine Dekolonialisierung als umfassender Prozess. Das werde von der Uni-Leitung längst noch nicht ernst genug betrieben. Eine gründliche Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit könnte noch aus einem weiteren Grund konstruktiv sein. Auch der Widerstand und die Handlungsmacht der Betroffenen seien Teil einer gemeinsamen Geschichte, sagt Bechhaus-Gerst. Gut vorstellbar, dass daraus alle Beteiligten schöpfen können.
„In unserer Universität soll es keine Hörsäle geben, die nach Nazis benannt sind. In unserer Universität sollen nicht kommentarlos Bilder von Nazis hängen. In unserer Universität sollen keine Gebeine von Opfern des Kolonialismus ausgestellt werden“
Aus dem Beschluss des StuPa