Ärzte der Kölner Uni-Klinik erhalten jährlich Hunderttausende Euro von Pharmaunternehmen. Welche Folgen hat das?
Erschienen in Stadtrevue 10/2016
Sven Krause, aufstrebender Assistenzarzt an der Kölner Uni-Klinik und Familienvater, hat 2015 mehr als 10.000 Euro von Pharmakonzernen erhalten, zusätzlich zu seinem Gehalt. Trübt das Geld seinen Blick dafür, was das Beste für seine Patienten ist? Eine einfache Antwort auf die Frage gibt es von ihm nicht. Nach kurzem Zögern stimmt er einem Treffen zu. Seinen richtigen Namen möchte er nicht veröffentlicht sehen, um Schwierigkeiten an seinem Arbeitsplatz zu vermeiden.
Er sei für mehr Transparenz, sagt er zu Beginn eines zweistündigen Gesprächs. Das entspreche seiner »inneren Haltung«. Er will aber auch erklären, warum ihn die Forschung in der Klinik zu Kompromissen zwinge. »Natürlich könnten die Zahlungen von Pharmakonzernen zum Problem werden«, so Krause. In seinen Augen sind sie es bei manchem Kollegen bereits. Er kontrolliere sich deshalb ständig, ob er es sich leisten könne, seine wissenschaftliche Meinung zu ändern. Krause sieht in den Zahlungen aber nur einen kleinen Ausschnitt des Geflechts aus medizinischen Fakultäten, Medizinern und Konzernen.
Pharmakonzerne bezahlen deutschen Ärzten Kongressreisen, Spesen, Fortbildungen, Honorare für Vorträge und Beratung. Für das Jahr 2015 haben 54 Konzerne erstmals Zahlungen und Empfänger veröffentlicht. Das Journalistenbüro Correctiv hat die verfügbaren Daten in einer durchsuchbaren Datenbank zusammengefasst. Daraus ergibt sich ein lückenhaftes Bild, denn die Firmen durften die Namen nur mit Zustimmung der Empfänger nennen. Knapp 30 Prozent haben eingewilligt. Und Krauses Daten etwa sind ihm zufolge nicht einmal vollständig: »Das müsste eigentlich mehr sein.« Er hält die Datenbank für kontraproduktiv: »Was jetzt passiert, ist maximal schädlich. Viele überlegen, wie sie da wieder raus kommen.«
Die Situation ist paradox. In der Berichterstattung stehen plötzlich jene Ärzte im Fokus, die sich bewusst für mehr Transparenz entschieden haben. Unter welchen Bedingungen Unternehmen und medizinische Fakultäten zusammenarbeiten, bleibt dagegen im Verborgenen. Die Universität Köln hält eine Kooperationsvereinbarung mit dem Bayer-Konzern geheim. Eine Veröffentlichung zu erzwingen, lehnte das Oberverwaltungsgericht in Münster nach einer Klage von Pharma-Kritikern ab. Auch den vorliegenden Versuch, die Zahlungen an einzelne Ärzte einzuordnen, unterstützt die öffentlich finanzierte Einrichtung nicht nennenswert.
In der Datenbank tauchen die Arbeitgeber der Ärzte nicht auf. Eine Suche nach den Adressen der Klinik-Gebäude führt zu mehr als 90 Personen. Manche haben demnach wenige Euro erhalten, andere ein paar Hundert. Von der Handvoll, die mehr als 10.000 Euro empfangen haben, äußert sich neben Krause nur ein weiterer Arzt. Welche Verantwortung trägt ein Arzt an der Uni-Klinik, die Krankenhaus und Forschungsabteilung zugleich ist, für den Einfluss der Pharmakonzerne?
Für die Industrie ist die Uni-Klinik in mehrfacher Hinsicht interessant. Hier arbeiten Meinungsführer, künftige Ärzte werden ausgebildet. Sind sie von einem Medikament überzeugt, hat das Folgen. Noch wichtiger: Neue, noch nicht zugelassene Medikamente können nur in Krankenhäusern an Patienten getestet werden. Diese Zulassungsstudien sind Voraussetzung dafür, dass ein Präparat verkauft werden darf. Die Beträge, die die Universitäten dafür erhalten, werden als Gesamtsumme ohne Nennung der Empfänger offen gelegt. Sie sind um ein Vielfaches höher als die Nebeneinkünfte der Ärzte. Die Uni-Klinik gibt auf Anfrage der StadtRevue weder Auskunft zum Anteil, den Zahlungen von Pharmakonzernen im Budget ausmachen, noch zum Anteil der Studien, die ohne ihre Hilfe durchgeführt werden.
Für Studien am Menschen gelten strenge Auflagen, die in den vergangenen Jahren noch weiter verschärft wurden. Sie seien dadurch besser geworden, sagen manche Ärzte. Sie sind aber auch teurer und aufwändiger geworden. Für die Vorgehensweise von Assistenzarzt Krause bedeutet das: Um eine Studie durchzuführen, kann er entweder Geld von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Krebshilfe oder vom Bundesforschungsministerium beantragen. Das sei aufwändig und für Nachwuchsforscher nahezu aussichtslos, sagt er. Die Alternative: Eine Zulassungsstudie für einen Pharmakonzern, der ein Anwendungsgebiet für ein neues Medikament braucht, das seinen Patienten helfen könnte. »Davon profitieren die Konzerne, die Uni-Klinik und meine Patienten.« Verlierer sind die Krankenkassen und damit alle übrigen Beitragszahler. Denn ob ein bereits zugelassenes, viel günstigeres Medikament ähnlich gut oder vielleicht besser geholfen hätte — die Frage kann Krause in diesem System nicht stellen. Setzt ein Arzt ein Medikament für einen nicht untersuchten Zweck ein, trägt er das Risiko allein.
Neue Anwendungsgebiete für bereits zugelassene Medikamente zu untersuchen, ist auch nach Aussagen anderer Ärzte kaum noch kostendeckend möglich. Krause spricht von üblicherweise 600 bis 800 Studienteilnehmern und von Kosten in der Größenordnung von 10.000 Euro pro Patient. Von Pharmakonzernen in Auftrag gegebene Studien sind hingegen ausreichend finanziert, unbürokratische Abwicklung inklusive. »Das stimmt industriefreundlich«, sagt Krause. Die Bedürfnisse der Unternehmen dürften vielen Forschern präsent sein, schlecht sieht es hingegen für Studien aus, die keinen kommerziellen Nutzen versprechen.
Ist die Studie erfolgreich, wirbt Krause auf Kongressen für seine Ergebnisse. Dafür erhält er jene Zuschüsse und Honorare, die in der Datenbank auftauchen. Im Umgang mit Interessenkonflikten könnte sie ein wichtiger, weiterer Schritt sein. Viele Ärzte legen bereits offen, von wem sie Geld erhalten haben: in Folien am Ende von Präsentationen, in Publikationen oder ihren Lebensläufen. In Gremien geben sie an, für welche Konzerne sie gearbeitet haben. Manche sagen, es gehöre »längst zum guten Ton«; andere sind da skeptischer. In der Kölner Uni-Klinik prüft eine Ethik-Kommission alle Patientenstudien vorab. Rechtsabteilung und kaufmännischer Vorstand der Klinik müssen allen Nebentätigkeiten ihrer Ärzte zustimmen. Wie viele davon jährlich abgelehnt werden, teilte die Klinikleitung auf Anfrage nicht mit, ebenso wenig die Zahl der abgelehnten Forschungsvorhaben. »Ich glaube, dass die Kölner genauer hinsehen als andere« , sagt Krause.
Arnold Ganser ist Professor an der Medizinischen Hochschule Hannover und Mitglied der Ärzte-Vereinigung MEZIS (»Mein Essen zahl‘ ich selbst«). Dass Pharmakonzerne für Zulassungsstudien ihrer Medikamente bezahlen, hält er für vertretbar. Ganser hält allerdings strengere Regeln für notwendig: Kongresse sollen nicht mehr von Pharmafirmen finanziert werden dürfen. Unabhängige Stimmen in den Gremien, die über den Einsatz von Medikamenten entscheiden, müssten gestärkt, Vortragshonorare offen gelegt, andernfalls Sanktionen verhängt werden. In den USA ist das Gesetz.
Auch die Finanzierung von klinischen Studien könnte unabhängiger von Pharmakonzernen sein. In Italien müssen sie einen Teil ihrer Marketingausgaben in einen Fonds einzahlen, aus dem Millionen für Forschungsvorhaben zur Verfügung gestellt werden.
Ganser sieht aber auch den einzelnen Arzt in der Pflicht: »Man muss sich nicht einladen lassen.« Studien zeigen, dass Pharmakonzerne schon die Einstellung von Medizinstudenten beeinflussen können. Transparenz ist ein Anfang, nötig ist mehr Distanz, so seine Position.
Einen pragmatischen Umgang mit seinen Honoraren hat Reinhard Büttner, Direktor der Pathologie der Kölner Uni-Klinik, gefunden. Er arbeitet daran, anhand von Gewebeproben Krebspatienten für erfolgversprechende Therapien zu identifizieren. Laut Datenbank hat er im Vorjahr 23.562,26 Euro von Konzernen erhalten — so viel wie kein anderer Arzt der Uni-Klinik, der in der Datenbank zu finden ist. Auf Anfrage teilt Büttner mit, er spende das Geld. 2015 habe eine Stiftung zur Förderung der Pathologie 20.000 Euro von ihm erhalten. Verpflichtet ist er dazu nicht.
»Natürlich könnten die Zahlungen von Pharmakonzernen zum Problem werden«
Sven Krause*
Die Datenbank und weitere Recherchen sind auf correctiv.org zu finden