Ein Discounter will in Köln neue Filialen bauen. Im Gegenzug plant das Unternehmen, bezahlbare Wohnungen über den Geschäften bauen zu lassen. Dazu müsste der Stadtrat das Einzelhandelskonzept ändern
Erschienen im Kölner Stadt-Anzeiger vom 24. Januar 2019
An der Neusser Straße in Nippes, dort, wo nach dem Auszug eines Küchenstudios ein Flachbau leer steht, soll eine neue Lidl-Filiale entstehen, samt mehrgeschossigen Wohnhäusern. Eine Supermarktkette baut Wohnungen: Kommt das Projekt zustande, wäre es eines der ersten seiner Art in Köln. Das Unternehmen hat sich das Grundstück in Nippes bereits gesichert, eine Visualisierung zeigt die Pläne. Bis zu 44 Wohneinheiten, teilweise mit Blick auf das nahe Nippeser Tälchen, seien möglich, heißt es aus Unternehmenskreisen. Eine Bauvoranfrage bei der Stadtverwaltung werde vorbereitet. Einen Anteil von 30 Prozent Sozialwohnungen will das Unternehmen in jedem Fall einplanen. Bezahlbarer Wohnraum werde in der wachsenden Stadt schließlich dringend benötigt. Man wolle größtmögliches Entgegenkommen signalisieren, heißt es weiter. Im Gegenzug erhofft sich das Unternehmen künftig mehr Gelegenheiten zur Expansion.
Politisch ist die Kombination aus Wohnungen und Supermärkten gewünscht. Der Rat hatte die Verwaltung im vorigen März beauftragt, wirksame Anreize zu schaffen. Das Bild vom gut erreichbaren Supermarkt im Flachbau mit rot gedecktem Giebeldach und reichlich Parkplätzen vor der Tür soll aus den Vierteln verschwinden. Die Unternehmen gaben sich bislang zögerlich. Doch nicht nur das Vorhaben in Nippes zeigt, dass es endlich Bewegung gibt.
Der Wirtschaftsausschuss des Rates befasst sich am heutigen Donnerstag mit einer Änderung des Einzelhandels- und Zentrenkonzept. Bislang galt um die Einkaufsstraßen und ihre Umgebung, im Konzept Versorgungszentren genannt, eine Schutzzone. Innerhalb eines 700-Meter-Radius durfte kein neuer großflächiger Lebensmittelhandel eröffnet werden. So sollte verhindert werden, dass Kunden aus den Einkaufsstraßen auf verkehrsgünstiger gelegene Supermärkte am Rand der Zentren ausweichen, dafür das Auto nutzen und so einen Bogen um die anderen Geschäfte machen. Diese Vorgabe soll nun aufgeweicht werden. Demnach sollen in den Schutzzonen künftig die Erweiterung bestehender Lebensmittelmärkte erlaubt werden – aber nur, wenn gleichzeitig Wohnungen auf den Grundstücken entstehen und dafür die maximal mögliche Bauhöhe ausgenutzt wird. Räume für Kindertagesstätten oder ein Spielplatz könnten ebenfalls Voraussetzungen für eine Genehmigung sein.
Den Planern von Lidl geht das freilich nicht weit genug. Ihr Vorhaben an der Neusser Straße liegt zwar unmittelbar in einem der Zentren aus dem Konzept. Eine Ausnahme wäre also gar nicht nötig – ein seltener Fall. Um den Konkurrenten aber wirklich Marktanteile abjagen zu können, wollen sie neue Standorte außerhalb der Zentren erschließen. Nach Unternehmensangaben würden nur vier von derzeit 38 Filialen für eine Erweiterung samt Wohnungsbau entsprechend der geplanten Ausnahmeregelung in Frage kommen.
Die Vorgaben für neue, große Lebensmittelmärkte will das zuständige Amt für Stadtentwicklung bislang indes nicht antasten. Zwar zeigen sich auch Konkurrenten wie Aldi und Rewe mit der Discount-Tochter Penny aufgeschlossen für „kreative Lösungen“. Aldi nannte auf Anfrage jedoch keine Filialen in Köln, die erweitert und mit Wohnungsbau kombiniert werden könnten. Bei Rewe verwies man wiederum auf ein bereits umgesetztes Vorhaben, wo Studentenwohnungen über einer Penny-Filiale errichtet wurden.
Müssen Politik und Verwaltung sich also entscheiden zwischen den Zielen, die Wohnungsnot zu lindern, und die kleinen Läden in den Einkaufsstraßen vor den großen Discountern zu schützen? Hans-Günter Grawe kümmert sich im Auftrag der IHK um die Einzelhändler, die sich in Interessengemeinschaften zusammengeschlossen haben. Er kennt die Situation der kleineren, inhabergeführten Geschäfte in vielen Vierteln. Er glaubt nicht, dass sie noch besonderen Schutz vor den großen Lebensmittelhändlern brauchen. „Wir haben ja keine kleinen Tante-Emma-Läden mehr“, sagt er.
Das Verbraucherverhalten habe sich längst verändert. Gemüseläden, Metzger oder Bäcker, die sich bis jetzt gehalten hätten, würden Waren „ganz anderer Qualität“ und damit teurer anbieten. Für sie seien die Discounter keine Gefahr. Bleibt es bei der begrenzten Öffnung, die die Stadtverwaltung vorgeschlagen hat, dürfte der Effekt ohnehin überschaubar bleiben.
„Wir haben ja keine kleinen Tante-Emma-Läden mehr“
Hans Jürgen Grawe
Das Konzept
In der zweiten Jahreshälfte soll das Einzelhandels- und Zentrenkonzept in einer überarbeiteten Version vorliegen und zur Diskussion gestellt werden. Schon jetzt sollen die Ratsmitglieder aber über die neue Ausnahmeregelung beraten, die Anreize für die Kombination von Supermärkten und Wohnungen schaffen soll. Das derzeit gültige Konzept wurde 2013 beschlossen und beruht auf Daten aus dem Jahr 2006.
Aufgrund einer Erhebung von bestehenden Geschäften, ihrer Größe und Sortimente wurden Zentren definiert, und anschließend Erweiterungsmöglichkeiten aufgezeigt. Das Konzept dient als Grundlage, um die Eröffnung von Einzelhändlern zu steuern. Grundsätzlich soll möglichst vielen Bewohnern der Stadt eine fußläufige Versorgung ermöglicht werden. Dafür sollen insbesondere die bestehenden Zentren geschützt werden.